Die Militärdiktatur, die in Argentinien von 1976 bis 1983 an der Macht war, verübte mit unerhörter Grausamkeit ein Staatsverbrechen   ohnegleichen: sie veranlasste das Verschwinden tausender von Menschen, deren Tod nie amtlich anerkannt wurde. Auf   30.000 wird die Zahl der Menschen geschätzt, die zu Verschwundenen wurden, desaparecidos ,   Abwesende ohne Grab, die nur in der Erinnerung fortbestehen können.

Der Verschwundenen soll die Installation Siempreviva gedenken in diesem Ort in Berlin, einer Stadt, die auch von Mord und Verfolgung gezeichnet wurde.

„Siemprevivas“, Immortellen oder schlichtweg Strohblumen, verwelken nie, aber sie leben auch nicht. Weder tot noch lebendig, verbleiben die Siemprevivas in jenem Zustand zwischen Leben und Tod, in den die Militärdiktatur die Verschwundenen verbannen wollte - die Sprache der Blumen als wortloser Ausdruck dieser offenen Wunde in der Geschichte Argentiniens.

In der Installation kommt das Spannungsverhältnis zwischen Kollektivem und Individuellem zum Vorschein, das auch dieses Kapitel der argentinischen Geschichte prägt. Der Besucher wird mit einem Blumenmeer konfrontiert – doch ist jede Blume anders und einzigartig, wie ein jeder Verschwundene anders und einzigartig war.   In Argentinien verschwanden Arbeiter und Intellektuelle, Männer und Frauen, Kinder und Greise. Vor allem aber junge Menschen: der Staatsterror richtete sich gegen eine ganze Generation.

Jeder Blumenstiel trägt einen Namen aus dieser Geschichte. Die knappen Beschriftungen sind mit besonderer Sorgfalt hergestellt: schon das handschriftliche Eintragen auf handgemachte Etiketten ist eine Hommage an die Abwesenden. Anstatt die Namen aus vorhandenen Listen mit ihrer bürokratischen Sprache abzuschreiben, wurden die Beschriftungen einzeln gestaltet und die Umstände jedes Verschwindens festgehalten. Der Aufwand an Zeit und Genauigkeit zeugt vom Einsatz und Engagement der Künstlerinnen. So vermieden sie das zusammenhanglose Stottern der Datenbanken und schufen für jeden Verschwundenen eine individuelle Erzählung, eine Geschichte als Ruhestätte.

Die Klosterruine bietet für die ephemere Installation Siempreviva einen besonders geeigneten Rahmen: sie zeugt vom Fortbestand, aber auch von der Fragilität der Erinnerung.

Die Installation ist den Naturgewalten ausgesetzt. Wie andere Arbeiten, die sich mit dem vergänglichen Stoff der Erinnerung beschäftigen, stellen diese Blumen uns vor eine ethische Forderung: das Gedenken fortzuführen, wenn die Arbeit selber vergangen ist.

Wenn selbst Steine im Laufe der Jahrhunderte so vergänglich sind wie Blumen,   obliegt es dem Gedächtnis der Menschen, die Erinnerung am Leben zu halten, wenn das Walten der Zeit ihre Spuren gelöscht hat.



Dra. Estela Schindel


Übersetzung Silvia Fehrmann



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